Beim systemischen Coaching gibt es viele Parameter für die Zieldefinition. Einer von ihnen ist die zweitbeste Lösung, das zweitbeste Ziel. Das erste Mal las ich davon im Buch von Sonja Radatz Beratung ohne Ratschlag. Das zweitbeste Ziel klingt im ersten Moment – naja, schon irgendwie zweitrangig, oder? Sagte auch John F. Kennedy:
Wenn man einmal im Leben mit dem Zweitbesten vorlieb nimmt, dann erreicht man immer wieder nur das Zweitbeste.
John F. Kennedy
Warum JFK hiermit nicht immer recht hat, erzähle ich dir im Artikel, unter anderem an einem persönlichen Beispiel. Das zweitbeste Ziel kann auch das viel bessere Ziel sein. Für einen Zwischenschritt oder für immer.
Ich bin Läuferin, Nordic Walking ist für alte Menschen
Ja, im Herzen bin ich eine Läuferin. Ich habe einen guten Körper für Leichtathletik: lange Beine, bewegliche Gelenke, schmaler Knochenbau. Und nachdem ich das Jogging für mich entdeckt hatte, war ich jeden zweiten Morgen zwischen fünf und sechs Uhr laufen. Am Anfang sehr langsam, so dass ich gerade mal nicht zu den Seiten umfiel. Ich war nicht sicher, ob das etwas werden würde mit uns. Also mit dem Jogging und mir. Doch als Meisterin, die übt, blieb ich dran. Es war so schön! Ich lief jedes Mal ein Stückchen länger, schneller, weiter, und ich lief immer denselben Weg. Das Aufwärmen hatte ich von meiner Wohnung bis zur Eingangspforte des nahegelegenen Parks beendet, dann begann das Laufen.
Es führte mich durch einen Park am Alsterkanal entlang, dann durch eine Kleingartensiedlung und viel Natur. Ich sah den kargen Winter ausklingen, bewunderte die wachsenden Knospen an den Bäumen. Dann stand das wunderschöne Mandelbäumchen in voller Blüte, kurz darauf lagen die rosa Blätter malerisch verstreut darunter auf dem immer grüner werdenden Gras, durchsetzt mit Gänseblümchen und Löwenzahn. Es war immer derselbe Anblick und immer anders. Ich liebte es und hatte mich irgendwann auf eine Strecke von zehn Kilometern eingegroovt.
Meine Gelenke sind zwar beweglich, aber es ging ihnen irgendwann nicht mehr gut. Mittlerweile bin ich an den Hüften beidseitig nicht mehr auf Werkseinstellung. Die Knie mögen auch nicht schmerzarm tun, was ich von ihnen will. Aber wie soll ich denn nicht joggen? Walking ist doch für alte Leute, nicht für mich? Mit derlei Gedanken vertrieb ich mir ein paar Jahre und tat nichts von beidem. Weder Jogging noch Walking. Irgendwann fragte mich mein inneres Bewegungstier, ob ich eigentlich noch ganz bei Trost bin, es so hängenzulassen. Fahrradfahren findet es toll, aber nicht nur. Es will auch Sport, bei dem es nicht sitzt. Und die langsameren Sinneseindrücke beim Laufen, wie auch immer. Ihm ist das egal, wie es dazu kommt, sagte es.
Ich war so langsam geworden, weil ich durch mehrere äußere Ereignisse immer wieder neu laufen lernen musste. Das ging mir genauso auf die Nerven wie meinem inneren Bewegungstier. Zähneknirschend kaufte ich mir Stöcke. Zufällig kam an dem Tag meine Mutter in Hamburg an. Wir holten sie vom Bahnhof ab. Sie sah die Stöcke, wollte auch welche, und noch im Sportgeschäft machten wir einen Termin mit einem dort arbeitenden Personal Trainer aus. Wenige Tage später zeigte er uns die Walking-Basics, und voilà! Es machte riesigen Spaß, die Stöcke beschleunigen die träge Masse deutlich, und die Arme werden auch noch trainiert.
Mittlerweile bin ich sehr glücklich, mich auf das zweitbeste Ziel eingelassen zu haben. Es dient mir so viel mehr als darüber zu lamentieren, was ich denn nur ohne Joggen tun soll.
Ich würde ja gern, aber meine Tochter, mein Mann, mein Kollege …
Solche Gedanken kennen wir vermutlich alle. Wenn doch meine Tochter nicht immer ihr Zeug auf den Boden werfen würde. Wenn mein Mann endlich mal am Wochenende nicht zum Fußball gehen würde, der Kollege bei den Besprechungen der Projekte konkret Stellung nehmen könnte …
Im Coaching erlebe ich solche Aussagen sehr häufig. Es passiert immer mal, dass Kundinnen sich Ziele setzen, die sie nicht erreichen können. Warum nicht? Das Erreichen der Ziele steht nicht zu hundert Prozent in ihrem Verantwortungsbereich. Dafür müssten sich erst andere Menschen ändern. Sich und ihr Verhalten. Oder äußere Bedingungen geben es nicht her, das erste Ziel zu erreichen. Nicht jeder kann Millionär werden. Aber genug verdienen, um gut zu leben und sich Wünsche erfüllen zu können, das kann ein realistisches Ziel sein. Wenn du verheiratet bleiben willst, kannst du nicht Single sein. Ihr könnt euch einvernehmlich einigen, die Beziehung zu öffnen. Single bist du dann immer noch nicht, aber es ist eine kreative Möglichkeit, mit deinem Wunschziel umzugehen. Und so weiter.
In den letzten drei Jahren hatten wir das Phänomen der äußeren Bedingungen sehr stark. Wir mussten Partys, Treffen, Feiertage alternativ planen, weil es oft nicht möglich war, sie so zu begehen, wie wir es gewohnt sind. Imelda Bischof, Coach aus der Schweiz, hat einen schönen Facebook-Beitrag über zweitbeste Freizeitziele geschrieben. Falls du ihn nicht lesen kannst, es geht darum, sich zum Beispiel nicht an Weihnachten am großen Tisch zu fixieren, sondern an einem Feuer draußen zu stehen. Statt eine Party zu feiern, zu einer gemeinsamen Wanderung loszugehen etc.
Zweitbeste Ziele reduzieren Stress und fördern die Kreativität
Wenn ich mir das Ganze so recht überlege, sind (zu) hohe Ziele ganz bequem. Ich kann die Million, den Weltruhm, das minimalistische Haus, nicht realisieren, also kann ich mich wieder hinlegen. Ich kann ja nichts dafür. Meine Hüften, die Konjunktur, meine Tochter, der Vorgesetzte, die Pandemie …
Mein Vorschlag: setze dich mit den folgenden Fragen auseinander:
- Was kann ich verändern?
- Was kann ich NOCH nicht verändern? (Was fehlt mir momentan? Wie kann ich an die Ressourcen gelangen, die mir fehlen?)
- Was kann ich jetzt gerade gar nicht verändern?
Bei der dritten Frage geht es primär auch darum, das Wunschziel zu würdigen: „Ja, ich will dieses Ziel erreichen! Aber momentan liegt es einfach (noch) nicht in meiner Macht!“.
Und hier entsteht der nächste Schritt:
- Was liegt aktuell in deiner eigenen Macht?
Mit dieser Lösungsorientierung kannst du nun deine zweitbeste Lösung finden. Eine zweitbeste Lösung hat hierbei nicht den Anspruch, das eigentliche Sehnsuchtsziel zu ersetzen! Doch für jedes Sehnsuchtsziel gibt es Alternativen! So wird deine Resilienz gestärkt. Resilienz oder auch psychische Widerstandsfähigkeit ist die Fähigkeit, Krisen zu bewältigen. Als resilienter Mensch meisterst du Entwicklungen leichter. Deine eigenen Ressourcen ermöglichen dir, dich für andere Wege zu öffnen. Durch diesen aktiven Lösungsansatz reduzierst du aktiv und effektiv deinen Stress, das Sehnsuchtsziel (noch) nicht zu erreichen. Oder auch gar nicht erreichen zu können.
Wie fühlt sich dein Ziel an?
Beschäftigst du dich mit dem Ziel als Gefühl, kommst du der Suche näher. Wie willst du dich fühlen, wenn du dein Ziel erreicht hast? Ich bleibe mal bei meinem Jogging-Beispiel: Wenn ich jogge, bin ich am Ende supergut durchblutet, mein Bewegungsapparat ist aktiviert und geschmeidig, meine Haut ist glatt. Ich bin sportlich, meine Muskeln stützen mich, ich fühle mich gesund und belastbar. Der Sport ist ein schöner Ausgleich zu meiner sitzenden Tätigkeit. Und ich bin glücklich über all die Naturschönheiten. Insgesamt bin ich voll mit Endorphinen.
Wenn ich nicht joggen kann, wie kann ich das Gefühl mit anderen Mitteln erreichen? Radfahren, Rudern, andere Wassersportarten. Wasser will ich gerade nicht. Das Schöne am Joggen ist ja, dass ich einfach aus dem Haus gehe und los-was-auch-immer-n kann. Und so näherte ich mich dem anfangs unbeliebten Walking. Inzwischen liebe ich es sehr. Und wenn ich mich ganz fit und übermütig fühle, jogge ich auch mal ein paar Schritte, eine oder zwei Minuten. Das ist nämlich auch noch ein Teil vom zweitbesten Ziel: es geht nicht um GANZ oder GAR NICHT. Und bis auf das Runner’s High habe ich alles, was ich beim Jogging auch bekomme.
Willst du ein ordentliches Haus, aber deine Kinder kooperieren nicht? Spiele mal mit den Gedanken. Wie willst du dich fühlen? Kannst du dir einen Bereich zuteilen, den du immer ordentlich hältst? Nützt es vielleicht, wenn du es wieder und wieder vorlebst? Leo Babauta schrieb irgendwann mal in einem seine Zenhabits-Artikel, dass er alles wegräumt, was ihn stört. Zu der Zeit hatte er sechs mit ihm lebende Kinder und seine Frau. Aber er beschrieb, dass es ihm Frieden verschafft, Ordnung zu haben. Die ist ihm so wichtig, dass er sie lieber selbst herstellt als in der Meckerschleife hängenzubleiben.
Hier ließe sich noch unendlich viel schreiben. Dieser Artikel gehört zu meiner persönlichen Herausforderung, in der Blogdekade von The Content Society Mut zur Lücke zu haben. Kleine Artikel (naja!), nicht unbedingt 10 von 10 (okay, 5 von 5 habe ich schon), und kein ewiges Basteln an den Bildern (obwohl das Abschlussbild schon ganz schön cool ist, oder?)
Möchtest du mit mir ein Ziel erreichen?
Dein erstbestes oder zweitbestes Ziel? Oder über deine Ziele sprechen? Sie finden, definieren, in Häppchen aufteilen? Vielleicht sogar verwerfen? Glaubenssätze auflösen? Du kannst mit mir über alles sprechen. Lass uns herausfinden, ob ich DEIN Life Coach bin und du meine Coachee! Am besten erklickst du dir unterm Artikel einfach einen Termin in meinem Kalender. Let’s go! 15 Minuten für deine Fragen!