Lesen ist, wie die Musik, eine ganz große Liebe von mir. Früher tat ich es aus reiner Freude, dann zunehmend zu Bildungszwecken. Das freudvolle, neugierige, Wochenenden konsumierende Lesen blieb. Bis, ja bis wann eigentlich? Es ist mir auf jeden Fall ein bisschen abhanden gekommen, und ich merke, wie sehr es mir fehlt. Einfach in ein Buch einzutauchen und verwandelt und etwas verwirrt wieder herauszukommen. Noch erschüttert vor Freude, Schreck oder Trauer. Oder völlig gefangen von einer Entdeckung der Wissenschaft, die Bahnbrechendes hervorruft.
Dieses gierige, jeden Buchstaben verschlingende Lesen machte mich bei meinen Eltern und Lehrern nicht immer beliebt. Das Außen war lange nicht schön, die Umgebung über Jahre nicht artgerecht. Aber es gab die Büchereien, die ich leer las. In denen ich Prinzessin, Musicalstar, berühmte Schauspielerin sein konnte. Oder ich ging mit meiner Zwillingsschwester auf ein Internat. Heimlich stibitzte ich nicht jugendfreie Bücher aus Omas Schrank und war über mehrere Bände die leidenschaftliche Liebende, die die diskreten Freuden mit einem nicht standesgemäßen, aber in der Liebe sehr kundigen Mann genoss. Huuuu, ich wusste kaum wohin mit meinen aufgewühlten Gefühlen! Ich reiste als Mann mit meinem besten Freund um die Welt, erkundete mutig und einfühlsam beobachtend mehrere Kontinente. Ich bekam einen Einblick in die Philosophie der Whiskydestillation. Auf einem Segelschiff spuckte ich gegen den Wind, auf meinem Pferd ritt ich vertrauensvoll, wohin immer es mich trug.
Die Liebe ist groß, die Liste lang. Die Reihe düsterer Psychothriller darf nicht fehlen. Und die viele viele Fachliteratur, mit deren Hilfe ich so manchen inneren Raum beleuchten konnte. Neben der reinen Freude an den Geschichten ist Lesen ein umfassendes sinnliches Erlebnis. Das Rascheln der Seiten, das Gefühl des Einbands und des Papiers. Noch nie gelesene, gern und oft verschlungene Seiten, die Schrift, der Geruch! Ein paar Punkte, die ich am Lesen besonders schätze, liste ich hier auf. Bestimmt weißt du noch viel mehr, ich auch. Ich ahne, dass ich noch einiges nachtragen werde. Weil aber heute der letzte Tag der Blogdekade in TheContentSociety ist, besinne ich mich auf den Perfektionichtsmuss und entlasse diesen Artikel in die Welt.
Was Lesen alles kann
Lesen bildet. Nahezu alles Wissen dieser Erde ist in Büchern festgehalten. Wir können uns über jedes Thema, das uns interessiert, informieren und uns nach unseren Vorstellungen schnell einen Überblick verschaffen oder endlos in die Tiefe gehen. Jedes Mal, wenn ich einen Artikel lese, gehe ich klüger daraus hervor. Heute, im Wartezimmer meiner Hausarztpraxis, las ich in der GEO-Ausgabe September 2023 über die Abgründe des Avocadoanbaus in Mexiko. Bitte kauft allenfalls Avocados aus Europa, die auch hier angebaut wurden.
Lesen trainiert das Gehirn. Es fördert die neuronale Vernetzung und stabilisiert das Gewebe. Dadurch, dass viele interaktive und komplexe Prozesse gleichzeitig ablaufen, verbinden wir beim Lesen visuelle, emotionale und sogar motorische Areale. Das Gehirn wird gesünder und leistungsfähiger.
Lesen entspannt. Es muss nicht immer das Fachbuch sein. Ein schöner Liebesroman, Krimi oder eine Lebensgeschichte lässt dich über den Tellerrand gucken, während du gleichzeitig in Sessel oder Bett sitzt oder wo auch immer du gern liest.
Lesen kannst du überall. Du brauchst außer einem Buch, einer Zeitschrift oder einer Zeitung kein Equipment, musst dich nirgendwo anmelden außer bei der Bibliothek, und dann geht es los: Du nimmst deine Lektüre mit zum See, aufs Boot, unter einen Baum.
Lesen erhöht die Aufmerksamkeitsspanne. Gerade als Selbstständige sind wir häufig auf Instagram, LinkedIn, Facebook und Co. unterwegs. Die Beiträge in den Sozialen Medien sind verhältnismäßig kurz, häufig multimedial, und kaum sind wir fertig mit Gucken, blinkt der nächste Beitrag, die nächste Story, ein Live, ein Reel, was auch immer wir alle tun, um auf unser wertvolles Wirken aufmerksam zu machen. Beim Lesen eines echten Buchs guckst du vielleicht nochmal heimlich nach, ob einer der Charaktere, um den du gerade fürchtest, nach 200 Seiten noch lebt, aber so viel Hin- und Herwechseln bringt einfach nichts. Einen Roman liest du meist Seite für Seite, in Fachbüchern vielleicht einzelne Kapitel, aber auch die chronologisch. Neben der Freude über eine schöne, spannende, bewegende Geschichte oder neue Kenntnisse ist das das Lesen ein perfektes Training der Fähigkeit, komplexere Sachverhalte zu erfassen und über längere Zeiten zu behalten.
Lesen entführt dich in andere Welten. Gestern saß ich im Zug und schaltete bewusst meinen Laptop nicht ein. Stattdessen schlug ich die „Geschichte einer großen Liebe“ von Susanna Tamaro auf. Das Buch schenkte mir eine Freundin letztes Jahr zu Weihnachten. Es fiel mir ein bisschen schwer, nicht auf meinem Laptop oder Smartphone hin- und herzuklickern, aber ich wurde reich belohnt: Indem ich in die zauberhafte Sprache eintauche, die mir solche Sätze beschert wie „Es gibt weise Bäume in der Nähe (des Hauses), und die Sträucher machen fröhlich.“ Unwiderstehlich. Ich lese weiter.
Dein Erleben kann sich durch Lesen verändern. Besonders intensiv habe ich das erlebt beim Buch „Die Entdeckung der Langsamkeit“ von Sten Nadolny, da dachte ich auch einmal g-a-n-z l-a-n-g-s-a-m. Und während ich „Das Parfum“ von Patrick Süskind las, schien ich nur noch aus Nase und Geruchssinn zu bestehen. Lesen erreicht dich nicht nur kognitiv, sondern über die Sinne. So bist du langsam, riechst alles, hörst anders, bist nervös, aufgeregt, erotisch stimuliert. Und alles über deine Vorstellungskraft.
Lesen macht empathisch. Wenn wir lesen, warum Menschen etwas tun oder entschieden haben, verstehen wir es eher, als wenn wir nur mit einem Ergebnis konfrontiert sind. Immer wieder werden die Beweggründe von Neuwählern umstrittener Parteien hinterfragt. Wenn ich mich auch weit davon distanziere, dass für mich irgendetwas ein Grund sein könnte, eine derartige Partei zu wählen, kann ich doch die Ratlosigkeit vieler Menschen verstehen. Sie fühlen sich von der aktuellen Regierung nicht abgeholt (ich auch nicht) und wählen aus Protest eine Partei, die die Regierung verteufelt. Indem wir nicht verdammen, was Menschen tun, sondern die Signale darin sehen, befinden wir uns in einem Raum des Verständnisses. Hier können wir entscheiden, inwieweit wir selbst politisch handeln wollen und können, um eine Gegenströmung zu erzeugen. (Sage ich mit meiner Vorstellung von einer freundlichen Welt).
Lesen erweitert den Wortschatz. Ich habe sehr viel gelesen, meine Tochter auch. Wir beide haben Mütter, die uns bis zum eigenen Einschlafen vorgelesen haben, so dass die Geschichten mit in den Schlaf rutschten.
Lesen soll Demenz vorbeugen. Indem das Gehirn aktiv benutzt wird, bleibt es beweglich und erhält sich seine Fähigkeiten länger als bei Nichtlesern. Intellektuell aktive Menschen erkranken später an Demenz und bewahren länger ihren Wortschatz.
Lesen bringt dich zurück zu dir
Beim Lesen räumt sich das Gehirn auf, so empfinde ich es. Alles wird ruhig, friedlich, möglich.
Lesen ist gut zum Einschlafen. Bücher sind geduldig und freundlich.
Dieser Artikel ist Nummer 10 von 10 in der Blogdekade von TheContentSociety. Meine Bloggerkolleginnen und ich waren so richtig fleißig. Sieh dir unter diesem Link gern den einen oder anderen tollen Artikel aus der letzten Woche an!
Ich lese auch unglaublich gerne und viel. Am liebsten die gedruckten Bücher und auch durch alle Genre. Bei einem Roman, weiß ich schon auf der ersten Seite, ob er mir gefallen wird. Es ist dieser besondere Schreibstil, der mich fesselt.
Viele Grüße
Heike
Oh ja liebe Silke, da gehe ich voll mit. Ich bin auch eine Lesejunkie. Seit ich Mama bin zwar weniger als vorher, aber nicht weniger intensiv. Ich liebe auch nichts mehr als Bücher zu shoppen. Stundenlang ins Buchgeschäft mit seinem besonderen Duft einzutauchen. Danke für diesen Artikel.
Der war unbedingt fällig, liebe Julia!
Manchmal wünsche ich mir ganz viel freie Zeit und möchte nur lesen, es ist schon sehr besonders.
Danke für deinen Kommentar!
Liebe Grüße, Silke