Die Kraft der Umarmungen

Vor ein paar Tagen stolperte ich mal wieder über ein Zitat. Vera Birkenbihl, diese wunderbare weise Frau, soll gesagt haben: „Vier Umarmungen pro Tag brauchen wir zum Überleben, acht Umarmungen pro Tag, um uns gut zu fühlen und zwölf Umarmungen pro Tag, um innerlich zu wachsen.“ Ob es ein Zitat von ihr ist oder nicht, darauf kommt es im Artikel nicht an. Ich möchte im Artikel auf die Notwendigkeit von Berührungen und Umarmungen eingehen.

Eine kleine Umfrage unter meinen Freundinnen (auch denen mit Partner) ergab, dass allen Befragten zwölf Umarmungen pro Tag schon viel erscheinen. Wie erwartet stellte sich heraus, dass alle Umarmungen mögen und sich meist mehr Körperkontakt wünschen (auch die mit Partner). Wir sehen uns das mal etwas näher an:

Wie geht Leben ohne Umarmungen?

Ein Leben ohne Umarmungen ist nicht möglich, besonders im Babyalter. Es ist überliefert, dass Friedrich der II. in einem Experiment mit grausamem Ausgang erforschen wollte, wie sich Sprache entwickelt, wenn Säuglinge nur satt, sauber und trocken sind. Darüberhinaus war keinerlei Ansprache zugelassen. Keine Laute, keine zärtlichen Berührungen, keine lustigen Gesichter, kein Singen und kein Händchenpatschen. Alle Kinder starben.

Foto von Laura Garcia über Canva

Es ist gesichert, dass das Fehlen von Körperkontakt die kindliche Entwicklung massiv beeinträchtigt. Und auch Erwachsene, die nicht berührt werden, sind besonders empfänglich für Krankheiten. Eine Untersuchung der ZEIT von 2015 kommt zu dem Ergebnis, dass sogar das Immunsystem von umarmten Menschen stärker und widerstandsfähiger ist als das von nicht oder ganz selten Umarmten. Die ZEIT-Studie berichtet von einem Experiment an umarmten und nicht umarmten Probanden, Beide Gruppen wurden mit denselben Viren infiziert; die Umarmten bekamen seltener einen Schnupfen. Als hätten wir’s gedacht!

Nicht berührt zu werden, kann zu ernsthaften Herz- und Kreislauf-Erkrankungen führen. Psychische Erkrankungen wie Depressionen werden begünstigt. Fehlt der Körperkontakt dauerhaft, auch in Form von einfachen Alltagsberührungen (ein fester Händedruck, ein aufmunterndes Schulterklopfen etc.), sind Persönlichkeitsveränderungen, innere Verhärtung die Folge. Besonders macht sich die Berührungsarmut bei allein lebenden und älteren Menschen, bei Menschen in Pflegeheimen, bemerkbar.

Wodurch sind wir so berührungsarm geworden?

Es gibt viele Ursachen für die Berührungsarmut. Babys und Kleinkinder werden vermutlich am häufigsten angefasst, auch liebevoll. Im Kindergarten kuscheln und raufen die Lütten, da scheint noch vieles in Ordnung. In welchem Maß Erzieher und Lehrerinnen die ihnen anvertrauten Kinder berühren dürfen, muss sorgsam abgestimmt werden, weil häufig die Grenze zum möglichen Übergriff sehr schmal ist. Deswegen ist es oft einfacher, die Kinder anzuleiten, sich z.B. gegenseitig abzuklopfen, zu umarmen, zu massieren.

In den Smartphones sehe ich eine große Bedrohung für den Impuls, andere zu berühren. Vom frühestmöglichen Alter an starren wir alle auf immer größer werdende Bildschirme und vergessen für Stunden die Welt um uns herum. Das Thema bedürfte einer separaten Untersuchung.

Im Laufe des Lebens werden die Berührungen und Umarmungen immer weniger. Bei Paaren wird der Sex in den ersten fünf Jahren durchschnittlich wesentlich weniger, und auch die Alltagsberührungen werden seltener.

Meine Tochter und ich sind einander sehr nah, hier beim Albern

Die Pandemie hat erheblich dazu beigetragen, dass die Berührungen untereinander abgenommen haben. Ich kann von Glück sagen, dass ich zu der Zeit mit meiner Tochter zusammenlebte. Wir waren sehr freigebig mit Körperkontakt, und sei es nur beim gemeinsamen Lesen oder Fernsehen, zusammengequetscht auf einem relativ kleinen Sofa. Bedauerlicherweise ist vieles aus der Corona-Zeit geblieben. Viele Menschen, auch ich, sind nur langsam oder gar nicht aus ihrem Einsiedlerdasein wieder rausgekommen.

Viele Berührungsimpulse gehen einfach auch im stressigen Alltag verloren. Wir arbeiten, kommen angespannt heim, und da geht es meist noch weiter mit Care-Arbeit, Selbstoptimierung, und schon fallen Umarmungen weg. Es gibt sicher tausende von Ursachen für das Abnehmen der körperlichen Nähe. Du kennst deine eigenen am besten, nehme ich an. Ich gehe meinen auch mal wieder auf den Grund, versprochen.

Was können Umarmungen?

Wir Menschen sind auf Verbundenheit ausgerichtet. Damit meine ich nicht, dass wir alle täglich viele Menschen sehen müssen. Das Bedürfnis nach Berührung ist in jedem Menschen angelegt. Ich behaupte immer, wenn alle diejenigen, die großes Unheil in der Welt stiften, ausreichend verbunden und mit Berührungen aufgeladen wären, würde dieser Planet ein schöner Ort sein. Vielleicht ein wenig romantisiert, und doch glaube ich im Grundsatz daran.

Berührungen können trösten, heilen, Zuversicht, Liebe vermitteln. Eine, wie meine Tochter sagt, qualitativ hochwertige Umarmung dauert zwanzig Sekunden mindestens. Das Hormon Oxytocin wird ausgeschüttet und besänftigt Stress. Das Stresshormon Cortisol wird vermindert; Ängste und Sorgen nehmen ab. Nicht alle Umarmungen müssen lang sein. Die Durchschnittsumarmung dauert 3,17 Sekunden, fand eine schottische Studie heraus, über die GEO berichtet. Die Forscher beobachteten im Rahmen der Olympischen Sommerspiele 2008 Umarmungen zwischen Sportlern, Trainern, Konkurrenten.

Das echte Forschen überlasse ich den Wissenschaftlern, auch wenn es mich wirklich reizt, bei einem so existenziellen Thema mehr in die Tiefe zu gehen. Ich denke, jede Umarmung zählt, wenn sie von Herzen kommt. Eine freudige Begrüßung, eine tröstliche Umarmung, Umarmungen aus Mitgefühl, Anerkennung, Trauer, Glück, Liebe.

Und wenn ich (meist) niemanden zum Umarmen habe?

Ich höre dich schon fragen, was du tun kannst, wenn du niemanden zum Umarmen in der Nähe hast. Fluch und Segen unserer digitalisierten Welt sind Enfernung und Nähe trotz Entfernung. Ich kann Freundschaften in alle Welt aufbauen und halten. Über Zoom oder WhatsApp öffne ich mich meinem Gegenüber und umgekehrt. Menschen in der Schweiz, in Österreich, in Norwegen oder nur in weit entfernten Teilen Deutschlands sind mir lieb und vertraut; wir sind im Gespräch und teilen vieles. Nur keine echten Berührungen. Was also tun!

Umarme bewusst

Manchmal schleicht sich etwas so Schönes wie das Berühren der Personen in deinem unmittelbaren Umfald einfach aus dem Leben, ohne dass du es beabsichtigt hast. Belebe die Kunst der Berührung und Umarmung neu. Ermuntere einen Freund, indem du deine Hand auf seinen Unterarm legst, während du ihm sagst, dass du ihm eine Angst-Aufgabe zutraust. Umarme deine Partnerin, wenn sie nach Hause kommt, etwas länger als sonst. Nimm deinen Neffen in den Arm, während er dir etwas erzählt. Du weißt selbst am besten, wo Berührungseinheiten verlorengegangen sind und wo du wieder einsteigen kannst.

Gönne dir Massagen

Eine der einfachsten Möglichkeiten, berührt zu werden, sind Massagen oder andere körperliche Behandlungen. Gönne dir ein paar Stunden im Hamam, dabei wirst du vorher schon herrlich gelockert und gewärmt, danach gewaschen und massiert. Ich liebe das! Oder du entscheidest dich für eine klassische- oder Ölmassage; es gibt viele Möglichkeiten.

Bist du in einer Partnerschaft, könnt ihr Partnermassagen ausprobieren, mit oder ohne Anleitung. Gönnt euch das Abenteuer eines Tantra-Kurses. Den gibt’s allerdings auch für Einzelpersonen.

Kuschele mit deinem Haustier

Wenn du einen Hund oder eine Katze hast, wirst du unter Zärtlichkeitsmangel vermutlich nicht leiden. Schon das weiche Fell deines Tiers zu fühlen, das Leben unter der Haut, einen Körper, der sich an deinen schmiegt, das ist so wertvoll! Meine Tochter ist mehr oder weniger mit unserer Katze im Gesicht aufgewachsen. Und abends war es meine Katze. Wenn nicht besondere Umstände dagegen sprachen, lag sie IMMER dichtgedrängt an meinem Bein, bis ich ins Bett ging. Dann erst kam sie mit mir hoch und ging zu Anne ins Bett. Und auch wenn du es so extrem eng nicht magst, ist allein das Streicheln eines warmen Tiers so heilsam und schön!

Umarme und berühre dich selbst

Aber wie soll das denn gehen, sich selbst umarmen? Versuch’s einfach mal.

Lege deine Hände auf die gegenüberliegenden Oberarme oder in die Achselhöhlen. Lasse dich ganz in diese Umarmung fallen, schließe die Augen, wenn du magst, und genieße. So oft und so lange du willst.

Nimm nach dem Duschen die nächste Bodylotion oder Körperbutter, die du zu greifen bekommst, und verteile sie mit Bedacht auf deinem Körper. Creme liebevoll den rechten Fuß und Unterschenkel ein, nimm die unterschiedlichen Hauttexturen wahr, genieße deine Händer auf deinem Körper. Arbeite dich langsam und genüßlich hoch bis zum Po. Nimm dir dann deine linke Seite vor. Bei mir kommen dann erst der rechte und der linke Arm dran, dann der Rücken, so weit ich komme, und zum Schluss Bauch, Brustkorb, Schultern. Merkst du, wie gut das tut? Wie lebendig und wohl sich dein Körper fühlt? Wie dankbar deine Haut ist, wie warm deine Hände, wie weich und positiv deine Emotionen?
Merk dir das und mach es bei der nächsten Gelegenheit gleich wieder, okay? Es gibt dabei kein Zuviel!

Du kannst dich auch im Bett so hinlegen, dass du dich umarmst. Ich schlafe sehr gern in der Swastika-Position, also halb bäuchlings übers Bett verstreut. Die Mitte stütze ich mit einem gemütlichen Kissen ab, um nicht zu tief ins Hohlkreuz zu sinken. Das untenliegende Bein strecke ich relativ gerade nach unten, das oben liegende Bein liegt angewinkelt vor mir. Mit dem oberen Arm kann ich vorn unter mir durchgreifen und meine Schulter umfassen. Der Hand des unteren Arms liegt ungefähr in Po-Oberschenkel-Höhe. So lässt es sich allein wunderbar geborgen einschlafen.

Bestimmt fallen dir noch mehr schöne Verwöhn-Rituale ein, die du dir angedeihen lassen kannst. Wenn du magst, verrate sie mir gern in den Kommentaren.

Zum Schluss

Du siehst, Berührungen und Umarmungen sind kein Luxus, sondern lebensnotwendig. Ich hoffe, ich kann dich mit diesem kleinen Artikel dazu anregen, dich selbst ernst zu nehmen, dir achtsam zu begegnen, dir Berührung zu gönnen. Wenn du mehr Artikel über Körperliches und den Umgang mit dir selbst lesen magst, lade ich dich ein, auf meinem Blog in der Kategorie Körperliebe zu stöbern.

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4 Kommentare zu „Die Kraft der Umarmungen“

  1. Ich liebe diesen Artikel! Bin gerade zufällig beim Recherchieren für meinen neuen Elternkurs darauf gestoßen und finde, du hast die „Macht der Berührung“ hier wunderbar zusammengefasst.
    Lass dich umarmen, liebe Silke! Aus der Ferne, aber von Herzen 🙂

    1. Ach, liebe Daniela, das freut mich sehr!
      Einerseits, dass du als Bloggerfreundin mich gefunden hast und den Artikel magst und andererseits, dass ich offenbar ganz gut gefunden werde mit dem Artikel.
      Und über eine Herzensumarmung freue ich mich immer!
      Sei liebst zurück umarmt,
      Silke

    1. Manchmal finde ich, auch ältere und bekanntere Themen verdienen ein wenig Aufmerksamkeit. Mir geht es auch immer so, dass ich irgendwas weiß und anderes nicht. Danke für deinen Kommentar, liebe Christine!

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